Jetzt kommt wieder diese Zeit, in der die ganze Familie durchdreht. Ich kann es ganz deutlich spüren. Bald geht es wieder los ...

Mutter Elfi wird alleine bei dem Gedanken, daß sie für irgendjemanden noch kein Geschenk haben könnte, hysterisch. Der elfjährige Phillip erzählt ständig nebenbei, was für ein tolles Fahrrad sein Freund Kevin hat. Die neunjährige Janine quengelt zwanzig mal am Tag, welche Pokemon-Sammelbilder noch in ihrer Sammlung fehlen. Und Vater Paul versucht, dem ganzen Trubel aus dem Weg zu gehen, indem er Überstunden macht. So verbringen wir die Tage, die überall "die stille Zeit" genannt werden.

Achso, wenn ich mich vorstellen darf: Mein Name ist Vincent und ich bin der Kater des Hauses. Von der Sorte her bin ich reinrassige Hauskatzenmischung, aber ich bin sicher, daß sich mein Stammbaum mehr oder weniger lückenlos bis ins alte Ägypten zurückverfolgen lässt. Zu Weihnachten habe ich eine etwas gespaltene Beziehung. Schließlich begann ich meine Karriere als Hauskater der Familie Weber vor drei Jahren selbst als Weihnachtsgeschenk für Tochter Janine.
Seit dieser Zeit habe ich mein Stadium als putziges Katzenbaby erfolgreich hinter mich gebracht und fühle mich deswegen auch nicht mehr verpflichtet, an Weihnachten mit Lametta oder Kugeln zu spielen. Das liegt vielleicht auch daran, daß ich im letzten Jahr das Gesamtkunstwerk "Weihnachtsbaum" bereits am zweiten Tag mit einem tollkühnen Sprung vom Schrank zu Fall gebracht habe. Damit war die festliche Stimmung vorläufig beseitigt. Menschen sind aber auch wirklich pingelig. Warum sollte man die Soße nicht mehr essen können, nur weil ein paar Tannennadeln darin schwimmen ? Ich frage ja auch nicht, was in dem Katzenfutter, das sie mir jeden Tag vorsetzen, eigentlich drin ist. Auf jeden Fall ernte ich seitdem jedesmal, wenn ich auf den Schrank springe, einen lauten "Vincent, NEIN"-Ruf verbunden mit einem vorwurfsvollen Blick.

Aber zurück zu Weihnachten.
Ich weiß noch, wie mich Mutter Elfi seinerzeit (meine heftige Gegenwehr hartnäckig ignorierend) "liebevoll" in die Pappkiste stopfte, damit mich Janine als richtiges Geschenk unter dem blöden Baum findet. Womit sie nicht gerechnet hatte war, daß das schusselige Kind den Karton erstmal fallen ließ, so daß ich, als sie mit ihren tollpatschigen Händen endlich den Deckel aufbekam, total benommen ins Licht der blinkenden Tannenbaumbeleuchtung blinzelte.
Die Benommenheit verschwand allerdings schlagartig, als Janine erkannte, daß ich nicht aus Plüsch, sondern aus Kater bestand und daraufhin einen "eine Katze"-Freudenschrei ausstieß, der meine nahezu jungfräulichen Trommelfelle nachhaltig zu schädigen drohte. Dummerweise gibt es eine Vereinbarung zwischen der internationalen Katzenvereinigung und dem Weltschutzbund für trottelige kleine Kinder, derzufolge es allen Mitgliedern der Gattung Felidae untersagt ist, (außer in extremen Notfällen) diese Kinder durch Einsatz von Krallen oder Zähnen gesundheitlich zu schädigen. Das heißt, daß wir diese Mini-Monster weder kratzen noch beißen dürfen, selbst wenn sie uns einen Knoten in den Schwanz machen.
Also blieb mir nichts anderes übrig, als kläglich zu maunzen und zu hoffen, daß sie mich nicht gleich wieder fallen lassen würde. Nachdem ich im Laufe des Abends die üblichen Schmuse- und Streichelorgien und den Versuch, mich in einer Schüssel Milch zu ertränken ("Trink, Miezmiez"), hinter mich gebracht hatte, mußten die Kinder zum Glück ins Bett und ich hatte meine Ruhe.

Zwei Jahre später war ich schon so sehr Mitglied der Familie, daß an Weihnachten das Barbie-Puppenhaus wesentlich mehr Attraktion war als ich. Und das, obwohl ich mich wirklich dekorativ in der Krippe drapierte. Gut, da ich bei dem Versuch, in diesen Mini-Stall zu klettern, erstmal die albernen Holzfiguren herausräumen mußte, um selbst Platz zu haben, erhielt ich nicht den ungeteilten Beifall der Familie Weber. Zumal der Figur, der sie den Namen "Josef" gegeben hatten, bei dieser Zwangsräumung der Kopf abgebrochen war. Aber Janine fand die Idee gut. Außerdem bekam ich ein Geschenk, das Mutter Elfi zuerst für mich eingepackt hatte und jetzt wieder für mich auspackte. Und was für eines. Eine Dose Whiskas. Na toll. Die hätte ich auch bekommen, wenn nicht Weihnachten gewesen wäre. Verständlich, daß sich meine Begeisterung darüber in Grenzen hielt. Aber offensichtlich war ich immer noch besser dran als Phillip, der den ganzen Abend über beleidigt vor sich hinmeckerte, weil er die falsche Spielekonsole bekommen hatte.

Da begann ich, mir Gedanken über dieses "Weihnachten" zu machen. Was sollte das Ganze eigentlich ? Zuerst hatte ich ja den Verdacht, daß es sich dabei um die Erfindung einer obskuren Vereinigung von Herstellern nutzloser Gegenstände handeln müßte. Denn schließlich war das der Termin im Jahr, an dem sich alle Menschen zu seltsamen Geschenke-Austausch-Ritualen zusammenfanden. Zu diesen Ritualen gehörte es wohl auch, sich scheinbar über das Geschenk zu freuen, es aber nach einigen Tagen so effektiv wegzuräumen, daß man es sein restliches Leben über nicht mehr würde sehen müssen. Aber irgendwie konnte es das auch nicht sein. Spätestens, als alle andächtig um das Radio saßen, aus dem die zittrige Stimme eines alten Mannes nuschelte (es klang wie "Ich wüünsche innen aalen ain froches Waihnachten") stellte ich fest, daß da noch etwas anderes sein mußte.

Ich nehme mal an, die vielen dickbäuchigen, rotgewandeten und weißbärtigen Gesellen, die einem zur Zeit überall begegnen, waren vom ursprünglichen Erfinder des Weihnachtsfestes nicht vorgesehen.
Außerdem gehe ich auch nicht davon aus, daß eigentlich geplant war, jedermann (oder auch jederfrau) mit einer einmaligen Pralinenmischung von Ferrero oder den tollen Socken von Tengelmann bedenken zu müssen. Und wer sagt, daß die Geschenke nur bei Tchibo liegen und sonst nirgends ? (Ja, auch Katzen sehen fern)

Nachdem jedes Jahr an Weihnachten die ganze Familie Weber in die Kirche rennt (wo man sie interessanterweise das ganze restliche Jahr über nicht sieht), ist die Wahrscheinlichkeit ziemlich hoch, daß der Ursprung dieser organisierten Kaufwut auch dort zu suchen ist. Noch dazu, wo sich Mutter Elfi immer extra für Weihnachten ein neues Kostüm und einen neuen Mantel gönnt. Schließlich will Frau ja gesehen werden.
Allerdings wurde ich bei dem Versuch, an einem Nachmittag die Lösung des Rätsels in der Kirche zu suchen, von einer aufgeregten Frau mit einem Besen erst durch die verschiedenen Stockwerke und dann zur Tür hinausgescheucht. Scheinbar wollen sie ihr Weihnachts-Geheimnis nicht mit jederkatz teilen.

Auf jeden Fall scheint in diesen Tagen und Wochen irgendwas in der Luft zu liegen. Die Menschen sind versöhnlicher, die Kinder braver, die Eltern nachsichtiger. Okay, das könnte nun auch wieder daran liegen, daß alle auf tolle Geschenke hoffen. Hm.
Aber da ist noch etwas anderes. Meine gesamte Familie scheint über die Weihnachtsfeiertage grundsätzlich einen Nichtangriffspakt geschlossen zu haben. Mal abgesehen von falsch geschenkten Videospielen vielleicht.
Im letzten Jahr versuchte ich, diese Theorie zu testen, indem ich meine Kamikatze-Nummer mit dem Baum durchzog. Leider beschränkt sich der Pakt wohl nur auf Mitglieder der menschlichen Rasse. Kater in umgefallenen Weihnachtsbäumen sind davon ausgeschlossen. Im Gegenteil. Vater Paul und Mutter Elfi wollten nicht aufhören, über mich zu schimpfen, als sie das ganze Zeug zum zweiten mal auf den Baum hängen mußten. Und von der feierlichen Stimmung, die bei der ersten Dekorationsrunde herrschte, war auch nicht mehr viel zu spüren.

Naja, warten wir mal ab, wie es in diesem Jahr wird, wenn die ganze Familie Weber lautstark "Stille Nacht" trötet. Obwohl das Ganze von Stille ungefähr so weit entfernt ist wie die Erde vom Mars.
Doch was soll's. Wenn meine Familie glücklich ist, bin ich es auch.