Dienstag, 02.11.1999 (dritter Tag)

Ich liege am Strand, die Sonne scheint mir auf den Bauch. Ich genieße die Ruhe. Wenn da nur nicht dieses nervende Geräusch meines Weckers wäre. So langsam verschwinden sowohl Strand als auch Sonne und ich werde in meinem dunklen Zimmer wach. Wo bin ich ? Richtig, in Kairo. Mitten in der Nacht.
Ich frage mich, ob es in Ägypten zum Lebensstandard gehört, nachts zwischen zwei und drei Uhr wach zu sein. Das Wasser im Bad kommt ziemlich braun aus der Leitung. Ist mir gestern gar nicht aufgefallen. Ich lasse es länger laufen, in der Hoffnung, daß es irgendwann klar wird. Es wird nicht. Nun gut, dann wasche ich mich halt braun.

Das Frühstücksbuffet fällt auch deutlich kleiner aus als gestern. Selbst der Ägypter mit den Omeletts ist nicht da. Mist. Ich gucke skeptisch in meine Kaffeetasse. Sieht nett aus. Ungefähr so wie das Wasser im Badezimmer.
Uns fällt auf, daß wir nun schon den zweiten Tag in Ägypten sind und noch niemand über Durchfall klagt. Eher im Gegenteil. Geli hat Verstopfung. Ich schätze mal, mit DEM Problem steht sie als Touristin in Ägypten relativ alleine da.

Unterwegs im Flugzeug nach Assuan/Abu Simbel gibt es zum Trost noch ein Hammer-Frühstück. Bestehend aus 6 Keksen mit Kaffee. Ich stelle fest, daß ich inzwischen schon in fast jeder Position auf Kommando einschlafen kann. Das werde ich heute Abend testen.
Zwischenlandung in Assuan, um die Leute rauszulassen, die leichtsinnigerweise Abu Simbel nicht mitgebucht haben. Immerhin hat Mia endlich wieder mal Zeit, in unser aller Gegenwart zu spekulieren, was ihr Bübchen wohl gerade macht. Dummerweise habe ich ihrem Mann versprochen, auf sie aufzupassen und sie nicht zu verkaufen.

Und dann sind wir beim (für mich) ersten Höhepunkt unserer Reise angekommen. Der Felsentempel von Ramses II in Abu Simbel. Ich stehe davor und bin sprachlos. Jetzt weiß ich, warum ich all das auf mich nehme. Jetzt bin ich natürlich froh, daß wir so bald aufgestanden sind. Wir sind hier, bevor dieses ganze restliche Touristenvolk auftaucht. (Wer hat die eigentlich alle ins Land gelassen ?) Wir stehen vor den gigantischen Steinkolossen und können uns nicht daran sattsehen. Bei Khaleds Erklärungen wird die Vergangenheit lebendig.
Im Tempel darf man leider nur ohne Blitz fotografieren. Ich hoffe, ein paar Bilder werden trotzdem was. Zum Abschluß werfen wir noch einen Blick hinter die Kulissen des Felsentempels. Da er wegen des Nasser-Stausees versetzt werden mußte, war es natürlich nicht möglich, ihn wieder aus einem bestehenden Felsen herauszuschneiden. Deshalb wurde ein Berg aufgeschüttet, der innen mit einer Betonkuppel verstärkt wurde, um den Druck von den Wänden des Temels zu nehmen. Das bedeutet, daß der Tempel von innen/hinten nur eine hohle Betonkonstruktion ist. Allerdings kann dies den überwältigenden Eindruck kein bißchen schmälern.

Abu1
Abu Simbel - der große Tempel von außen

Abu2
Ein Relief von Ramses II im Inneren

Abu3
Das Allerheiligste des Tempels

Beim Rückflug nach Assuan gibt es im Flugzeug freie Sitzplatzwahl. Bei solchen Gelegenheiten macht es doch immer wieder Spaß, die Mitreisenden bei fröhlichen Balgereien um die vermeintlich besseren Sitze für eine halbe Stunde Flug zu beobachten. Und wenn ich jetzt nicht diese alte Französin neben mir sitzen hätte, die aus dem Mund riecht, wie Mias Bübchen aus der Windel, dann ginge es mir richtig gut.

Nachdem wir im Hotel auf Isis Island in Assuan (das liegt auf einer Insel und ist nur über eine Fähre zu erreichen) angekommen sind, erfahren wir, daß sich unsere Koffer, die uns schon aus Kairo vorausgeeilt sind, irgendwo da hinten am "Ende von Gang" befinden. Dieses "irgendwo da hinten" entpuppt sich als ein Platz im Freien, an dem unser Gepäck schon mindestens 3 Stunden in der prallen Sonne steht. Dem entsetzten Gesicht so manches Mitreisenden kann ich entnehmen, daß er gerade überlegt, wie viele Kleidungsstücke eine geschmolzene Tafel Ritter Sport wohl versauen kann.
Im Gegenzug weist uns ein lächelner Einheimischer darauf hin, daß er der Schneider des Hotels ist und ganz furchtbar arg schnell neue Hemden etc. nähen kann. Ob das Zufall ist ?

Isis

Da wir den Rest des Tages frei haben (Abendessen gibt es um 20 Uhr), beschließen wir, nach dem Mittagessen erst ein bißchen Schlaf nachzuholen und dann auf eigene Faust etwas zu unternehmen, da uns die geplante Kutschenfahrt durch Assuan nicht allzusehr begeistern kann. Beim Mittagessen (es gibt unter anderem "Bief" und "Tschicken") stellen wir bei Mia eine angenehme Nebenwirkung des Schlafentzugs fest: Sie fragt nicht mehr dauernd nach ihrem Bübchen.

16 Uhr. Man sollte nicht glauben, wieviel eine Stunde Schlaf am Nachmittag doch bringen kann. Ich fühle mich wieder richtig frisch und gut. Nach einer kurzen Lagebesprechung beschließen wir, in den Bazar von Assuan zu gehen. Geli hätte gerne Gewürze und außerdem brauchen wir noch Postkarten.

Hier eine kurze Zwischenfrage: Was ist eigentlich so ein Bazar? Antwort: Für einen menschenscheuen Mitteleuropäer mit Klaustrophobie sicherlich die Hölle. Aber wir amüsieren uns prächtig. Man stelle sich Unmengen von Gassen (kreuz und quer) mit noch größeren Unmengen von Hauseingängen und zimmergroßen Einbuchtungen in den Häusern vor, garniere das Ganze mit zahllosen Verkaufsständen und -wägen, füge unzählige verschiedene Farb- und Geruchseindrücke hinzu und ergänze es noch mit der größten und lautesten Menschemenge, die man sich vorstellen kann. Das ist dann in etwa ein Bazar. Nur noch schlimmer. Und lauter. Und schriller. Und wir mittendrin. Zu kaufen gibt es hier fast alles. Von Touristennepp bis hin zu den Dingen des täglichen Bedarfs.
Die Einheimischen erkennen Dich mit zielsicherem Blick schon auf 10 Meter als Touristen aus Deutschland (Wer kennt noch das Lied von Reinhard Mey "Guck mal Achmed, sie mal da: Mann aus Alemania" ?) und stellen sich Dir dann freundlich lächelnd mit dem Schlachtruf "Winterschlußverkauf" in den Weg. Das Ganze mit der Hoffnung, daß Du bei dem Umweg, den Du um sie herum machen mußt, in ihren Laden stolperst und etwas kaufst. Manchmal wird auch der "Winter-" durch einen "Sommerschlußverkauf" ersetzt oder ein Verkäufer von Gewürzen erklärt Dir "Safran macht den Kuchen gel", wobei er seine wunderschön gleichmäßigen schwarz-weißen Zahnreihen zeigt. Wie gesagt: So ein Bazar ist absolute klasse.

Im Bazar begegnen wir immer wieder fränkischen Touristen, die uns aus ihren Kutschen heraus bewundernd anschauen, weil wir uns tapfer und auf eigene Faust diesen Gefahren stellen.
Einer der Händler bietet mir für Mia eine Million Kamele. Ich lehne ab. Er erhöht auf zwei Millionen. Da ich ihrem Mann dieses dumme Versprechen gegeben habe, lehne ich wieder ab. Erst als mir der Händler einen Mercedes anbietet, komme ich ins Grübeln. Aber nix da. Mia ist nicht verkäuflich. Basta. Irgendwann werfe ich einen Blick auf die Uhr und stelle fest, daß wir uns auf den Rückweg machen sollten, wenn wir das Abendessen nicht verpassen wollen. Gut. Nur wo geht es zurück ? Moment mal, ist doch ganz einfach. Wir müssen nur runter zum Nil. Dort an der Hauptstraße entlang und dann mit der Fähre zum Hotel. Wo ist der Nil ? Um ehrlich zu sein, habe ich inzwischen jede Orientierung verloren. Schon mindestens seit der vierten Kreuzung mit dem obligatorischen "wo gehen wir jetzt lang ?" weiß ich nicht mehr, wo wir sind. Aber Geli ist da ganz anders. Zielsicher führt sie uns dort rechts in die Gasse, dann wieder links, und wieder rechts. Und von hier aus müsste es doch geradeaus - moment mal, warum ist da eine Wand ? Irgendwann stellt sie fest, daß sie sich auch nicht mehr auskennt. Zum Glück finden wir einen Polizisten, der schon an verlaufene Touristen gewöhnt ist und uns den richtigen Weg beschreibt. Auch wenn es anfangs Verständigungsprobleme gibt und er auf Gelis Frage nach dem Nil anstatt "Nil" das Wort "Meal" (=Mahlzeit) versteht und uns zur nächsten Imbißbude schicken will. Auf dem Rückweg denken wir sogar noch daran, ein paar Postkarten für die Daheimgebliebenen zu kaufen. Wenn die nur schon geschreiben und abgeschickt wären ...

Beim Abendessen (mit "Bief" und "Tschicken") versuchen sich Mia und Geli darin, möglichst fachmännisch als Dessert einen Granatapfel zu zerlegen. Hm. Bei Tieren heißt diese Spritzerei "Revier markieren" und wird eigentlich eher von den Männchen durchgeführt.

Hinterher habe ich bei einem Juwelier in der Ladenpassage des Hotels das erstemal persönlich die Ehre, mit einem Ägypter zu handeln. Eigentlich wollen wir gar nicht in diesen Laden rein. Schließlich hat uns jeder davor gewarnt, bei den Händlern im Hotel zu kaufen, weil die angeblich viel teurer sind als die anderen. Aber nachdem wir uns vor seinem Geschäft nett mit ihm unterhalten haben (wobei er ganz höflich meint, man sähe Geli gar nicht an, daß sie Mias Mutter wäre - ich platze innerlich fast vor Lachen), gehen wir doch mit rein.
Auf jeden Fall ist das der längste Einkauf meines Lebens. Wir amüsieren uns zu viert in diesem kleinen Laden herrlich und der Inhaber macht am Schluß den Eindruck, als hätten wir ihn bis in die dritte Generation ruiniert. Er meint dann noch, ich solle niemandem sagen, was ich für meinen Kartuschen-Anhänger bezahlt habe, da andere Touristen aus unserer Gruppe ihre Sachen teurer gekauft hätten. Er erwähnt da besonders eine "dicke Frau mit Bart". Ich muß an das grüne Kostüm mit den weißen Tupfen denken und weiß, wen er meint. Mia behauptet, ich hätte echt cool verhandelt. Zum Abschluß des Tages sitzen wir noch auf der Terasse meines Zimmers und genießen den Blick, den man über den Nil und das nächtliche Assuan hat.
Es ist einfach nur herrlich.

Assu1
Assu2
Der Ausblick von der Terrasse des Hotelzimmers. Allerdings tagsüber.