Montag, 01.11.1999 (zweiter Tag)

Nach 4 Stunden Schlaf fällt das Aufstehen entsprechend schwer. Im Bad stelle ich bei einem Blick in den Spiegel fest, daß Karl Dall auch dabei ist.
Immerhin entschädigt mich die Aussicht aus dem Fenster für die Strapazen von gestern. Die Sonne scheint, es ist warm und die Hotelanlage ist tagsüber noch grandioser als nachts.

HotelTh

Wir haben ein Wahnsinns-Frühstücksbuffet (inclusive eines Ägypters, der Omeletts mit Zutaten nach Wunsch frisch zubereitet). So langsam geht es mir besser.
Während unserer Busfahrt durch Kairo stellt sich unser Reiseleiter vor. Es ist ein kleiner Ägypter, der äußerlich eine gewisse Ähnlichkeit mit Gregor Gysi hat. Sein Name ist Khaled. Mit "d" am Ende. Nicht mit "b". Mit "d". Das muß ihm besonders wichtig sein, da er es gar so betont. Er erklärt uns auch, was "Guten Morgen" auf ägyptisch heißt. Ich habe es aber wieder vergessen. Wir erfahren außerdem, daß wir ab sofort zur Gruppe 1 gehören. (Da wir insgesamt 45 Leute sind, werden wir in zwei Gruppen aufgeteilt). Gruppe 2 sitzt im anderen Bus. Diese Ägypter sind schon pfiffig.
Unser erster Halt ist die Zitadelle von Mohammed Ali (nicht der Boxer) mitsamt der weltberühmten Alabastermoschee. Diese ist sehr groß, sehr rund und ziemlich laut. Scheinbar ein beliebtes Ziel für ägyptische Schulausflüge. Dort erklärt uns Khaled eine Stunde lang sehr anschaulich die Grundzüge der islamischen Religion.

Zita1
Die Alabastermoschee

Als wir die Moschee wieder verlassen, lausche ich nebenbei einer Diskussion, bei der es darum geht, ob Franken zu Bayern gehört. Das ist sicher eine Grundsatzfrage, die auch jeden Ägypter interessieren dürfte. Langsam beginne ich, am geistigen Zustand so mancher Mitreisender aus Gruppe 1 zu zweifeln.
Von der Terrasse der Moschee aus haben wir einen tollen Panoramablick auf Kairo. Wir können sogar bis zu den Pyramiden sehen. Äh - könnten wir, wenn nicht gerade Smog wäre. Wenigstens wissen wir, in welche Richtung wir gucken müssen, wenn wir vermuten wollen, wo die Pyramiden liegen.
Khaled erklärt uns, daß gerade die Zeit der Zuckerrohrernte ist, bei der alles, was nicht verwertet werden kann, verbrannt wird. Daher die schlechte Luft. Beruhigend zu wissen, daß es nicht immer so ist, sondern nur, wenn wir da sind.

Zita2
Blick über Kairo

Auf dem Weg zum Bus müssen wir Geli bremsen, sonst fängt sie gleich hier an, Souvenirs zu kaufen. Dafür haben wir ja schließlich noch genug Zeit.

Die nächste Station ist das Ägyptische Museum in Kairo. Khaled erklärt uns anhand der ausgestellten Figuren, Stelen, Pläne, Schätze etc. die Geschichte der verschiedenen Reiche und Dynastien in Ägypten. Das Ganze ist sehr interessant. Wir lauschen alle andächtig. Nur Mia kann sich nicht beherrschen, ihn ab und zu leise zu verbessern. Aber das hören nur Geli, Gerd und ich. Nach zwei Stunden machen sich bei einem Teil unserer Gruppe (inclusive mir) Ausfallerscheinungen bemerkbar. War wohl doch etwas zu wenig Schlaf in der letzten Nacht. Gegen Ende der Erklärungen habe ich teilweise gar keine Lust mehr, die beschriebenen Reliefs anzuschauen. Wenn Khaled sagt, daß da Ramses II abgebildet ist, dann wird das schon stimmen, und es würde auch nichts ändern, sie anzustarren.
Im Museum gibt es auch ein Wiedersehen mit den Schätzen des Tut Ench Amun, die ich bereits von 13 Jahren in München bewundert habe. Nur seine Mumie ist nicht hier. Diese ist zusammen mit dem innersten Sarkophag in seinem Grab im Tal der Könige aufbewahrt, da sie einen Transport wahrscheinlich nicht überstehen würde. Schade. Aber er wird mir nicht entkommen.
Zum Abschluß haben wir noch eine halbe Stunde Zeit für uns. Mia und Geli stürmen zur Mumienhalle. 40 Pfund Extra-Eintritt. Gerd und ich kennen Mumien schon aus dem British Museum in London und sparen das Geld deshalb lieber.
Zur vereinbarten Zeit treffen wir uns wieder am Brunnen vor dem Eingang des Museums. Alle sind da bis auf unsere beiden Mädels. Die haben sich die einheimische Pünktlichkeitsmentalität sehr schnell zunutze gemacht. Obwohl - ich glaube, die hatten sie auch schon vorher.

Nach dem Museum fahren wir mit dem Bus weiter zum Mittagessen. Mia plappert ununterbrochen ohne Punkt und Komma. Gibt es gegen Sprechdurchfall eigentlich kein Imodium ? Ständig hat sie Fotos von ihrem Mann und ihrem Kind in der Hand. "Sind sie nicht süß, diese kleinen Stinkerfüßchen ?" Ich nehme an, sie meint damit die Füße ihres Sohnes. Und irgendwann verbieten wir ihr, das Wort "Bübchen" zu gebrauchen. ("Was macht mein Bübchen wohl gerade ?" - zu jeder vollen Stunde ...)
Während der Fahrt werden wir von Khaled darauf hingewiesen, daß es in Ägypten zwar Verkehrsregeln gibt, daß sich aber grundsätzlich niemand daran hält. Ist uns auch schon aufgefallen. Verkehrszeichen und rote Ampeln scheinen hier nur Dekorationsgegenstände zu sein. Am Besten gar nicht aus dem Fenster schauen.
Auf Khaleds Aufforderung hin machen wir das aber doch wieder. Und zwar rechts. Dort sehen wir den Friedhof. Dieser ist in Kairo bewohnt. Wenn ich sage "bewohnt", dann meine ich das auch. In den Grabaufbauten wohnen insgesamt etwa eineinhalb Millionen Menschen. Dies dürfte auch ein ungefähres Bild auf die Größe dieses Friedhofs werfen. Inzwischen ist er nicht mehr nur noch rechts sondern auch noch links aus dem Fenster. Früher waren diese Bewohner nur Grabwächter, aber die Wohnungsnot hat immer mehr Leute dazu gebracht, dort einzuziehen. Das ist wohl der einzige Friedhof weltweit mit Strom- und Wasseranschluß. Hier gibt es sogar Läden und Geschäfte. Ist ja makaber.

Mittagessen gibt es in einer Touristenabsteige am Nil so gegen 15 Uhr. Zur Auswahl stehen "Bief" oder "Tschicken". Da wir Halbpension gebucht haben, beschließen wir vier, hier nur etwas zu trinken und auf das Abendessen im Hotel zu warten. Mia und Geli gönnen sich ägyptisches Bier.
Auf dem Rückweg zum Hotel besuchen wir noch den Bazar Khan El Khalili. Auf dem Weg dahin fragen wir Khaled, was denn dort günstig zu haben ist. Laut seiner Aussage ist fast alles, was man kaufen kann in Assuan oder Luxor besser. Nur Messingwaren und Wasserpfeifen sind in Kairo zu empfehlen. Nun hat irgendwie niemand mehr das verstärkte Bedürfnis, diesen Bazar hier überhaupt zu besuchen. Die Vorstellung, schwere Messingbodenvasen oder unhandliche Wasserpfeifen durch Ägypten zu schleppen, baut niemanden auf. Wir wollen nicht einkaufen, wir wollen lieber ins Bett. Wir sind müde. Aber diese Einwände zählen nicht. Der Bazar steht auf dem Plan, also haben wir auch ein Recht darauf. Ob wir wollen oder nicht.
Außerdem muß Mia dringend aufs Klo. Und damit meine ich wirklich DRINGEND. Das Bier will wieder raus. Mit aller Macht. Da nun aber die Wahrscheinlichkeit, mitten auf dem Bazar in Kairo eine öffentlich Toilette zu finden, verschwindend gering ist, leidet sie ziemlich. Entsprechend wirkt sich das auf ihre momentane Stimmung aus. Immerhin ist damit der Sprechdurchfall vorübergehend beseitigt.
Auf dem Rückweg ins Hotel verrät uns Khaled noch die gute Nachricht des Tages: Da morgen der Weiterflug nach Assuan/Abu Simbel bereits um 5:30 Uhr stattfindet, werden wir um 2:30 Uhr geweckt. Obwohl er dabei fürchterlich arg lächelt, nehme ich an, daß es sich um keinen Scherz handelt.

Vor dem Abendessen will ich im Hotel noch schnell Reiseschecks einlösen. Dabei lerne ich zwei grundlegende Dinge:
1. Löse niemals Thomas-Cook-Reiseschecks bei einer American-Express Vertragsbank ein. Die Gebühren hauen Dich um.
2. Wenn vor dem Schreibtisch eines ägyptischen Bankangestellten ein kleiner Hocker steht und Du beim Hinsetzen feststellst, daß unter Deinem Po ein Aschenbecher klappert, dann sitzt Du auf dem Beistelltisch und der Angestellte fällt vor lauter Kichern und Grinsen fast vom Stuhl.

Beim Abendessen (auf dem Buffet gibt es unter anderem verschieden zubereitetes "Bief" und "Tschicken") beschließe ich, nie mehr mit Franken ins Ausland zu fahren. Denn dann bleiben mir in Zukunft peinliche Auftritte von dicken Frauen in grünen Kostümen mit weißen Tupfen erspart, die auf die Frage nach der Zimmernummer (wegen der Berechnung der Getränke) lautstark zu kreischen anfangen. "Nix Zimmernummer. Mier mäin doch haid Nachd nu foahrn. Und deshalb zohl mer boar !" Hat der Ägypter bestimmt verstanden.
Als ich später ins Bett gehe, denke ich mit Grausen daran, daß die kommende Nacht schon wieder mittendrin aufhört.
Geli zitiert mich an dieser Stelle in ihrem Tagebuch mit dem legendären Satz "Ich erwarte ja eigentlich nicht mehr als acht Stunden Schlaf." Und wenn selbst ICH meine Ansprüche so weit herunterschraube, dann sagt das einiges über unseren Zustand aus.
Naja, wer kann schon von sich behaupten, innerhalb von 24 Stunden zwei mal ins Bett gegangen und wieder aufgestanden zu sein und zwischendrin noch eine Moschee, ein Museum und einen Bazar besucht zu haben ? Das ist mehr als nur ein Pauschalurlaub. Das ist Abenteuer pur. Nennt mich Indiana Jones.