Mittwoch, 18.06.2003 (dritter Tag):
 
Hurra, letzte Nacht habe ich besser geschlafen. Nachdem ich mich mit der Kuhlen-Schwerkraft im Bett arrangiert hatte, ging es einwandfrei. Und auch der Stepptänzer über mir gab diesmal Ruhe.

Wie üblich holt mich die Bruderfamilie um 8 zum Frühstück ab. Als wir beim Essen sitzen, richtet mir Gerhard einen schönen Gruß von unserer Mutter aus. Auf meine fragende Bemerkung hin, ob sie denn angerufen hätte, meinte er nur: „Naja, sie wollte mir halt zum Geburtstag gratulieren“.
Kurze peinliche Stille meinerseits. Geburtstag. Gerhard. Gerhard hat Geburtstag. Und ich hab’s vergessen. Und das, nachdem wir ihn gestern den ganzen Tag über damit aufgezogen haben, dass er heute 42 wird. Also gut, besser spät gratuliert als gar nicht. Marco tröstet mich damit, dass er es auch vergessen hatte. Ich atme auf. Demnach liegt es vielleicht doch nicht an meinem Alter sondern einfach in der Familie.

Nach dem Frühstück trennen wir uns, weil ich heute alleine einen Einkaufstag einlegen will. Als ich im Lift nach oben fahre, steht ein Mann neben mir. Plötzlich sagt er leicht grinsend und kopfschüttelnd: „Never go on vacation with a woman“ (Gehe niemals mit einer Frau in Urlaub). Aha, scheinbar hat seine Frau was vergessen und er muss es jetzt aus dem Zimmer holen. Ich beruhige ihn damit, dass ich Single bin.
Ansonsten verläuft mein Tag wie geplant. Mit viel kreuz und quer laufen und U-Bahn fahren. Oxford Street, Regent Street, Piccadilly Circus, Leicester Square, Covent Garden. Hin, her, zurück, dran vorbei und im Kreis drumrum.
Mittagspause gegen 14 Uhr. Heute (ohne Marco) mal nicht bei McDonalds. Stattdessen bei Kentucky Fried Chicken. Hey, nicht lachen ! Fast Food ist für mittags in London einfach ideal. Kostet nicht viel Zeit. Später noch ein Cola in einer Bar am Leicester Square.

Und nachdem ich bisher nur geguckt und verglichen habe, fange ich gegen 15:30 Uhr an, a bissl was einzukaufen. Hose und T-Shirt bei TopMan, T-Shirt bei FCUK. Dann hätte ich gerne noch die Hose, die ich bei Burton’s in der Bond Street im Schaufenster gesehen habe. Eine Nachfrage des Verkäufers im Lager ergibt, dass sie leider nicht mehr in meiner Größe da ist. Aber es gibt diese Hose auch als Shorts. Ist bei der Wärme eh besser – meint er. Also gucke ich bei den Shorts. Und siehe da, ein passendes Exemplar ist noch da. Bei der Anprobe habe ich plötzlich den oberen Knopf in der Hand. Aber ansonsten gefällt sie mir. Gut, einfach den Knopf in die Tasche der Hose stecken und beim Verkäufer reklamieren, dass er fehlt. Das bringt mir dann 10 % Rabatt ein. So macht einkaufen Spaß. Ich werde in Zukunft immer bei Anproben irgendwelche Knöpfe abreißen. Spart Geld.
In der Oxford Street denke ich auch daran, die Postkarten einzuwerfen. Ich bin richtig gut.

Um 18 Uhr will ich mich mit der Bruderfamilie am Riesenrad treffen. Ein Blick auf die Uhr sagt mir, dass ich gerade noch Zeit habe, meine Einkäufe ins Hotel zu bringen und vielleicht kurz zu duschen. Es ist zwar bedeckt, aber trotzdem bin ich wegen der Wärme völlig durchgeschwitzt.
Glücklicherweise treffe ich im Hotel auf Brigitte, Gerhard und Marco. Gut. Dann gehen wir erst um 18 Uhr am Hotel los. Gibt mir etwas mehr Zeit.
Die Bruderfamilie war auch auf Einkaufstour. Marco hat bei Hamley’s einen Lego-Panzer gekauft, den es bei uns daheim nicht gibt. Er fängt gleich an, ihn zusammenzubauen. Zum Glück geht es ihm heute wieder besser. (Marco, nicht dem Panzer) Das Halsweh ist weg.

Im Laufe des Nachmittags ist die Sonne (die heute Vormittag so schön geschienen hat) verschwunden und als wir beim Riesenrad ankommen ist es ganz gewaltig windig. Aber immerhin regnet es nicht und wenn der Wind mal ein paar Sekunden Pause einlegt, ist es sogar richtig warm. Was geht’s uns gut. Gerhard hat bei einem Gratulationsanruf erfahren, dass es daheim kalt ist und regnet. Da bleibe ich doch lieber in London.
Die Fahrt mit dem „London Eye“ ist zwar (wie bereits gesagt) ziemlich teuer, aber dafür auch klasse. Schon beim Ticketkauf kommt man nicht um die Tatsache herum, dass das ganze Gestell wohl irgendwie von der Britisch Airways bezahlt oder zumindest gut gesponsert ist.

Pasted Graphic

Pasted Graphic 1

Dementsprechend „fährt“ man auch nicht mit dem Riesenrad, sondern man „fliegt“. Und auf dem Ticket steht auch keine „Eintrittszeit“, zu der man in die Gondel darf, sondern eine „Boarding Time“. Und bis dahin haben wir noch eine halbe Stunde. Also setzen wir uns noch a bissl raus in den Wind und lassen uns die Frisur zerzausen. Die Fahrt … äh … der Flug selbst dauert gut 30 Minuten und bietet einen spitzenmäßigen Blick über London. Könnte nur noch besser sein, wenn die Sonne scheinen würde.

Abendessen gibt’s heute in dem kleinen Restaurant (bzw. Imbissbude mit Stühlen) neben unserem Hotel. Spaghetti für Gerhard, Pizza für Brigitte, Hänchenbrustschnitzel für mich und Marco hätte gerne Chicken Wings. Dummerweise sind Chicken Wings aus. Gut, dann eben ein Barbeque-Chicken. Als er es bekommt guckt er ziemlich groß. Auf dem Teller liegt ein ganzes Hähnchen in fünf Teile zerlegt mit irgendeiner Soße drüber. Gut, das ist jetzt vielleicht ein ganz klein wenig viel für einen 11-jährigen. Und außerdem isses scharf. Währenddessen kämpft Brigitte mit ihrer Pizza. Die ist nämlich sehr gut gebacken. Schon mal einen Keks mit Messer und Gabel gegessen ? Sie stöhnt: „Eigentlich reichen mir schon die Blasen an den Füßen, ich will nicht auch noch welche an den Fingern“. Dann beschließt sie, das Ding nur grob zu zerschneiden und dann mit den Händen weiter zu essen. (Ich erkläre ihr zwar, was „Kettensäge“ auf englisch heißt, es ist ihr aber peinlich, beim Kellner danach zu fragen)
Marco ist nach ein bis zwei Hähnchentrümmern satt, also schnappt sich Gerhard eine Keule. Er ist mit seinen Nudeln schon fertig. Schließlich tauscht Brigitte ihre restliche Pizza mit Marcos restlichem Hähnchen. Ich esse mein Hähnchenschnitzel selbst auf, nur die Bohnen und Karotten lasse ich ausnahmsweise mal liegen. Wusste gar nicht nicht, dass in einem Hähnchenschnitzel so viel Fett drin sein kann. Naja, man lernt halt nie aus. Brigitte stellt fest, dass das Barbeque-Hähnchen ziemlich stark gewürzt ist. Als sie in meine Richtung spricht weiß ich auch, womit. Na prima. Zum Glück haben alle drei davon gegessen. Bin ich morgen mit drei Knoblauchbeulen unterwegs.
Weil er Geburtstag hat, zahlt Gerhard die Rechnung. Der Betrag, der unten auf dem Zettel steht, klingt irgendwie nach „der Rest der Urlaubs fällt jetzt mangels Geld aus“.
Zurück im Hotel bringt Brigitte die Dame an der Rezeption noch etwas durcheinander, als sie zuerst statt um ihren „Key“ (Schlüssel) um ihren „pay“ (bezahlen) bittet. Sie kann das Missverständnis dann aber doch ziemlich schnell aufklären.

Beim Blick aus meinem Fenster stelle ich fest, dass das Zimmer gegenüber heute dunkel ist. Gnädigerweise. Nochmal der Anblick von gestern Abend und ich würde vielleicht blind.

Nachts:

Ich rotiere im Bett anstatt einzuschlafen. Irgendwie kann ich mich mit dieser Matratze nicht so recht anfreunden … Heute könnte ich eigentlich mal stepptanzen. Würde sicher den Zimmerbewohner unter mir freuen.